Verhandlungen zum schweizerisch-liechtensteinischen Zollvertrag
Schon vor der Aufnahme der offiziellen Verhandlungen zu Beginn des Jahres 1920 hatten auf Initiative Liechtensteins seit dem Frühjahr 1919 vorbereitende Abklärungen zu einer möglichen schweizerisch-liechtensteinischen Abmachung stattgefunden. Der Schweizer Bundesrat war damit zum Zeitpunkt der offiziellen Anfrage bereits informiert, die Schweizer Bundesverwaltung auf unterschiedlichster Ebene in die Abklärungen involviert gewesen.
Emil Beck war seit 1919 Geschäftsträger der liechtensteinischen Gesandtschaft in Bern. Er versuchte vor Ort Überzeugungsarbeit zu leisten. Dass die Schweiz nämlich auf ein liechtensteinisches Verhandlungsgesuch eingehen würde, war alles andere als sicher. Die Schweiz hatte auf ein Gesuch Liechtensteins zum Anschluss an das schweizerische Zollgebiet nicht gewartet. Auch wenn einige Schweizer Vertreter wie beispielsweise Bundesrat Giuseppe Motta sich für Liechtenstein stark machten, begegnete die Schweizer Bundesverwaltung einem solchen Vertragsabschluss mit Skepsis, teilweise auch mit grundsätzlicher Ablehnung.
Am 23. Januar 1920 trafen sich eine liechtensteinische und schweizerische Delegation in Bern erstmals offiziell zu einem Gespräch. Vertreter der liechtensteinischen Delegation, Wilhelm Beck und Prinz Eduard von Liechtenstein, berichteten dem Landtag am 30. Januar 1920 von den Gesprächen in Bern. Der Landtag ermächtigte die Regierung daraufhin einstimmig, offizielle Vertragsverhandlungen mit der Schweiz aufzunehmen. Der Schweizer Bundesrat reagierte positiv auf das Gesuch, teilte der liechtensteinischen Regierung mit, dass er grundsätzlich bereit sei, die gegenseitigen Beziehungen vertraglich zu regeln und beauftragte gleichzeitig die eigene Verwaltung, die damit in Zusammenhang stehenden Fragen zu klären.
Der Komplexität der Zollvertragsmaterie geschuldet, zogen sich die Verhandlungen über einen Zeitraum von knapp drei Jahren hin. Neben grundsätzlichen Fragen bewirkten die Widerstände gegen den Zollvertrag aus dem sankt-gallischen Grenzgebiet, aber auch kritische Einwände aus Liechtenstein, wiederkehrende Verzögerungen.
Ernsthafte Bedenken gab es in Bezug auf die Souveränität Liechtensteins. So hatte beispielsweise Prinz Eduard in seiner Funktion als Geschäftsträger der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien noch vor der Aufnahme der offiziellen Verhandlungen ein Fragezeichen hinter die Wahrung der Souveränität Liechtensteins gesetzt. Er war der Ansicht, dass «eine solche Union mit der Schweiz» für Liechtensteins «dauernde Selbständigkeit eine grosse Gefahr» darstellen würde. Ein solches Vertragswerk würde für ihn nur infrage kommen, wenn die wirtschaftlichen Vorteile klar überwiegen würden. Auch die Schweiz wies Liechtenstein auf eine mit einem Zollvertrag einhergehende «empfindliche Reduktion der Souveränität» hin. Liechtenstein habe mit einem solchen Vertragswerk verschiedene damit in Zusammenhang stehende Gesetze zu übernehmen.
Von den liechtensteinischen Befürwortern des Zollanschlusses wurde der heraufbeschworene Verlust der Souveränität in der eigenen Gesetzgebung jedoch anders interpretiert. Emil Beck als liechtensteinischer Chefunterhändler bei den Vertragsverhandlungen forderte in seiner Kommunikation gegenüber den Schweizer Vertretern die Teilnahme Liechtensteins am Schweizerischen Wirtschaftsleben unter voller Wahrung seiner Souveränität ein. Die wirtschaftlichen Bedürfnisse des Landes wurden jedoch stets über jegliche Souveränitätsfragen gestellt und Letztere rückten im Laufe der Verhandlungen zunehmend in den Hintergrund.
Am 29. März 1923 unterzeichneten Emil Beck als Vertreter Liechtensteins und Bundesrat Giuseppe Motta als Vorsteher des Eidgenössischen Politischen Departements den schweizerisch-liechtensteinischen Zollvertrag. Ende Mai 1923 genehmigte der liechtensteinische Landtag den Vertrag. Im Oktober stimmte der schweizerische Ständerat nach eingehender Diskussion dem Vertragswerk zu, im Dezember 1923 auch der schweizerische Nationalrat. Damit konnte der Zollvertrag am 1. Januar 1924 in Kraft treten.
Literatur
LI LA, SF 1.9/1920/7, 08.01.1920, Gesandtschaft Wien an Gesandtschaft Bern.
LI LA, Kopien BA Bern 2001 (H), 2, Band 11, B. 14/24P4, III., 29.11.1920, Eidgenössisches EJPD an EPD.
Cerutti, Giuseppe Motta, in: Altermatt, Schweizer Bundesräte, S. 306–311.
Geiger/Quaderer, «Motta, Giuseppe», in: eHLFL.
Oberhammer, «Liechtenstein, Eduard von», in: eHLFL.
Quaderer-Vogt, Bewegte Zeiten, 2014.
Quaderer, «Beck, Emil», in: eHLFL.
Sochin-D’Elia, Wirtschaftswohl gegen eigenstaatliche Souveränität, 2019.