Unruhige 1930er-Jahre
Die immer enger werdenden schweizerisch-liechtensteinischen Beziehungen führten unweigerlich auch zu Unstimmigkeiten und Reibungsflächen. Erstmals so richtig auf den Prüfstand gestellt wurden diese Beziehungen in den 1930er-Jahren. Liechtenstein wünschte sich durch die Einbettung in den Schweizer Wirtschaftsraum auf der einen Seite wirtschaftliche Prosperität, auf der anderen Seite wollte man nicht alle schweizerischen Vorgaben übernehmen, die einem selbst nicht zum Vorteil gereichten. Die Schweiz schwankte zwischen wohlwollendem Desinteresse dem kleineren Vertragspartner gegenüber und dem gleichzeitig vorhandenen Wunsch zur Durchsetzung der eigenen Interessen.
1933 entschied Liechtenstein, die in Bern bestehende Gesandtschaft aufzulösen. Während dieser Entscheid parteipolitisch gesehen als hoch umstritten galt, fiel er in Bern auf wenig Kritik. Die Schweiz versicherte der Liechtensteiner Regierung, dass sie diesen Schritt nicht als unfreundlich empfänden und sie verstanden hätten, dass es sich um einen rein innenpolitischen Entscheid handle. Die von der regierenden Bürgerpartei vorangetriebene Schliessung der Gesandtschaft in Bern kam in den Folgejahren immer wieder dann zur Sprache, wenn die Schwierigkeiten zwischen Liechtenstein und der Schweiz offenkundig wurden und sich Liechtenstein einen eigenen Vertreter vor Ort in Bern gewünscht hätte.

Zu ernsthaften Unstimmigkeiten kam es in den Jahren 1933/1934 aufgrund der in der Schweiz und in Liechtenstein unterschiedlichen Lotteriegesetzgebung. Während die Schweiz ein Verbot für nicht-wohltätige Lotterien kannte, gewährte Liechtenstein Lotterie-Konzessionen. Der englisch geführte Mutual Club hatte seinen Sitz aus diesem Grund schon 1923 von der Schweiz nach Liechtenstein verlegt. Der Schweiz war dies ein Dorn im Auge, 1933 beschloss der Schweizer Bundesrat deshalb, dass das schweizerische Lotteriegesetz ab 1934 seine Anwendung auch in Liechtenstein finden sollte. Liechtenstein wehrte sich gegen den Entscheid der Schweiz, musste ihn schliesslich aber akzeptieren. Die Schweiz hatte mit der Kündigung des Zollvertrags gedroht. Der liechtensteinische Verweis auf die eigene Souveränität wurde nicht anerkannt.
Zu unzufriedenen Äusserungen auf Schweizer Seite führte im gleichen Zeitraum der «Fall Ude». Ab 1930 war in Liechtenstein ein «Freiwirtschaftsbund» aktiv, der sich für eine neue Wirtschaftsordnung einsetzte und mit dieser die staatliche, auf Zinswirtschaft, Kapitalismus und Privatbesitz ausgerichtete Ordnung abzuschaffen versuchte. Der «Freiwirtschaftsbund» lud 1932 Johannes Ude, einen der geistigen Führer der freiwirtschaftlichen Idee, zu einer Rede nach Liechtenstein ein. Die liechtensteinische Regierung verhinderte seinen Auftritt in Liechtenstein und erwirkte – gestützt auf das Fremdenpolizeiabkommen mit der Schweiz – gleichzeitig ein vorübergehendes Redeverbot im schweizerischen Rheintal. Das Vorgehen Liechtensteins im «Fall Ude» führte zu politischen Vorstössen sowohl im schweizerischen National- wie auch im Ständerat. Dort wurde das Verhalten der Liechtensteiner Regierung als autoritär und der Redefreiheit abträglich gewertet. Die Räte kritisierten den Bundesrat für dessen Unterstützung Liechtensteins stark, einzelne Stimmen forderten gar eine Überprüfung des zwischenstaatlichen Verhältnisses.

Auch die liechtensteinische Einbürgerungspolitik führte zu Verstimmungen zwischen den beiden Vertragspartnern. Die liechtensteinische Einbürgerungspraxis, begründet in der Zahlung von hohen Einbürgerungstaxen, ohne dass die entsprechenden Personen zwingend ihren Wohnsitz im Land haben mussten, gehörte in den 1920er- und 1930er-Jahren zu den Eckpfeilern der liechtensteinischen Staatseinnahmen. Die Schweiz beobachtete die liechtensteinische Einbürgerungspraxis schon länger kritisch. Sie befürchtete, dass über den Umweg des Liechtensteiner Passes ihr nicht genehme Personen in die Eidgenossenschaft gelangen könnten. Die Forderung der Schweiz nach einem Mitspracherecht war deutlich: Jede Einbürgerung in Liechtenstein musste einer Überprüfung durch die Schweizer Behörden standhalten. Eine einvernehmliche Regelung mit starken Zugeständnissen Liechtensteins an die Schweiz konnte erst mit einem neuen Fremdenpolizeiabkommen im Jahr 1941 gefunden werden.
Literatur
Büchel, «Mutual Club», in: eHLFL.
Büchel, “Ude, Johannes”, in: eHLFL.
Geiger, Krisenzeit, Bd. 1 und Bd. 2, 1997.
Ospelt, «Lotterien», in: eHLFL.
Schwalbach, Bürgerrecht als Wirtschaftsfaktor, 2012.