Märzkrise in Liechtenstein und die Reaktionen der Schweiz
Schon 1924 hatte die Schweiz die Frage diskutiert, inwieweit die Neutralität Liechtensteins auch in Krisenzeiten Bestand haben werde. Wie stand es um die militärische Grenzbewachung? Wie um ein mögliches Einschreiten des Schweizer Militärs in Liechtenstein im Notfall?
Im März 1938 wurde aus den theoretischen Überlegungen plötzlich Realität: Nach dem von Hitler am 11. März 1938 erzwungenen Sturz der österreichischen Schuschnigg-Regierung und der damit erfolgenden Einsetzung einer nationalsozialistischen Regierung vereinigte Hitler am 13. März 1938 Österreich mit dem Deutschen Reich. Liechtenstein hatte praktisch über Nacht eine gemeinsame Grenze mit Hitler-Deutschland erhalten.
Der «Anschluss» Österreichs an Deutschland löste in Liechtenstein und der Schweiz grosse Hektik und Nervosität aus. Zugleich erhielten die Schweizer Überlegungen zur Grenzsicherung und Neutralität Liechtensteins eine ganz neue Dimension.
Die liechtensteinische Regierung bat die Schweiz aufgrund der sich in Österreich überstürzenden Ereignisse noch am 11. März um einen verstärkten Grenzschutz der österreichisch-liechtensteinischen Grenze. Liechtenstein dachte dabei an eine militärische Unterstützung. Die Schweiz jedoch sah davon ab und stellte lediglich mehr Grenzwächter zur Verfügung. Dies hatte einen einfachen Grund: Völkerrechtlich gesehen war Liechtenstein in Sachen Neutralität kein mit der Schweiz zusammengeschlossenes Gebiet. Militärische Operationen in Liechtenstein hätten im Ausland als Verletzung der Schweizer Neutralitätspflicht verstanden werden können. Das gegenseitige Interesse der Schweiz und Liechtensteins war durch den «Anschluss» Österreichs jedoch wieder erstarkt. Aus Liechtensteiner Sicht war das Land auf den völkerrechtlichen und militärischen Schutz der Schweiz angewiesen. Für die Schweiz wiederum war Liechtenstein ein wichtiger Vorposten zur Sicherung der eigenen Grenze im Osten.
Die Nervosität, ja Angst, die sich in Liechtenstein aufgrund des «Anschlusses» Österreichs ausbreitete, galt zumindest für das offizielle Liechtenstein. Was hiess das nun für den Kleinstaat, der unmittelbar an das Grossdeutsche Reich angrenzte? War Liechtenstein als Nächstes dran? Die Bedrohung war real.
Auch innenpolitisch standen die Zeichen in Liechtenstein auf Sturm: Die regierende Bürgerpartei und die oppositionelle Vaterländische Union (VU) stritten heftig miteinander. Gleichzeitig gab es Kräfte, die mit einem «Anschluss» Liechtensteins an Hitler-Deutschland sympathisierten. In der Schweiz wurde dies mit Besorgnis zur Kenntnis genommen. Die Schweiz erwartete von Liechtenstein eine offizielle Erklärung seiner Zuverlässigkeit.
Regierungschef Josef Hoop und Landtagspräsident Anton Frommelt wünschten im Landtag vom 15. März 1938 deshalb ein einstimmiges Bekenntnis aller 15 Abgeordneten, dass sich Liechtenstein nach wie vor zum Zollvertrag bekenne und die eigene Souveränität gegenüber Hitler-Deutschland wahren wolle. Der VU-Abgeordnete Otto Schaedler verweigerte jedoch seine Zustimmung. Er sah die Gelegenheit, die Vaterländische Union zu stärken, und verband seine Zustimmung mit einem innenpolitischen Forderungskatalog.
Bei Gesprächen in Bern versuchten Josef Hoop und Anton Frommelt am nächsten Tag die Schweizer Vertreter zu beruhigen. Liechtenstein bekenne sich grundsätzlich zur eigenen Unabhängigkeit und zur Zollgemeinschaft mit der Schweiz. Die innenpolitische Zerrissenheit des Landes konnten sie jedoch nicht kaschieren.
Die Schweiz reagierte klar und deutlich, die militärische und sicherheitspolitische Sicherung der Eidgenossenschaft stand im Vordergrund. Die Schweiz gab der Liechtensteiner Regierung zu verstehen, dass Liechtenstein innenpolitisch für Ruhe zu sorgen habe, andernfalls werde der Zollvertrag augenblicklich aufgelöst. Bern war für den Moment besänftigt. Nur wenige Tage später schlossen die Bürgerpartei und die Vaterländische Union einen Parteienfrieden und bildeten in der Folge eine Koalitionsregierung. Darin bekannten sie sich zum Zollvertrag und zur Selbständigkeit und schlossen eine politische Hinwendung zu Hitler-Deutschland aus, gleichzeitig regelten sie die zukünftige gemeinsame Zusammenarbeit und befriedeten die Situation insoweit auch innenpolitisch.
Literatur
Geiger, Krisenzeit, Bd. 2, 1997.
Geiger, «Hoop, Josef (1895–1959)», in: eHLFL.
Vogt-Frommelt, «Frommelt, Anton», in: eHLFL.
Schremser, «Schaedler, Otto», in: eHLFL.