Der Zollvertrag von 1923
Der schweizerisch-liechtensteinische Zollvertrag wurde am 29. März 1923 unterzeichnet und trat am 1. Januar 1924 in Kraft. Liechtenstein und die Schweiz wurden damit zum gemeinsamen Wirtschaftsraum. Im Zollvertrag wurde ein beidseitiges Kündigungsrecht verankert.
Mit dem Abschluss des Zollvertrags verzichtete Liechtenstein auf einen Teil seiner Souveränität. Sämtliche schweizerischen Gesetze, die in einem Zusammenhang mit dem Zollvertrag standen, mussten von Liechtenstein übernommen werden. Der Zollvertrag regelte auch ganz konkret die Ausgestaltung unterschiedlichster Bereiche, etwa bei der Bekämpfung von Epidemien, die Festlegung von gesetzlichen Feiertagen oder die Übernahme der schweizerischen Fabrikgesetzgebung durch Liechtenstein. Die Übernahme von schweizerischem Recht ging und geht teils weit über den Bereich der Zölle hinaus.
Sämtliche von der Schweiz mit Drittstaaten abgeschlossenen Handels- und Zollverträge galten mit Inkrafttreten des schweizerisch-liechtensteinischen Vertragswerks automatisch auch für Liechtenstein. Liechtenstein gab mit dem Zollvertrag seine Aussenhandelsautonomie auf und ermächtigte die Schweiz, es bei Verhandlungen mit Drittstaaten zu vertreten. Die fremdenpolizeilichen Grenzkontrollen an den Rheinbrücken wurden aufgehoben und Liechtenstein dazu angehalten, das schweizerische Fremdenpolizeirecht anzuwenden.
Mit Inkrafttreten des Zollvertrags war Liechtenstein fortan über die schweizerische Aussenhandelspolitik in die Weltwirtschaft eingebunden. Schon nach kurzer Zeit bewertete Liechtenstein den ökonomischen Zusammenschluss mit der Schweiz als positiv. Die lang ersehnten wirtschaftlichen Verbesserungen traten ein. Durch die offenen Grenzen für Rohstoffe, Waren und Menschen entstanden für Liechtenstein günstige Rahmenbedingungen für den rasanten wirtschaftlichen Aufschwung der Nachkriegszeit. Auch die Einnahmen aus der mit der Schweiz vereinbarten Zollpauschale trugen in der Zwischenkriegszeit wesentlich zum liechtensteinischen Staatshaushalt bei. Ihr Anteil an den staatlichen Gesamteinnahmen war beträchtlich. Über die Jahre 1924 bis 1940 stammte durchschnittlich rund ein Viertel der Staatseinnahmen aus der Zollpauschale. 1951 erfolgte eine Abkehr von der Pauschale hin zu einer proportionalen Berechnung des Betrags. In den darauffolgenden Jahren hatte dies für Liechtenstein einen erneuten Anstieg der Einnahmen aus dem Zollwesen zur Folge.
Es ist davon auszugehen, dass die föderale Struktur der Schweiz sowie das damit verbundene Verständnis für einen kleineren, eigenstaatlichen Partner als Wegbereiter für die Zollvertragsverhandlungen hilfreich waren. In erster Linie betonte die Schweiz während der Verhandlungen das freundnachbarschaftliche Verhältnis, aufgrund dessen ein solches Vertragswerk ermöglicht wurde. Hinter dem geäusserten Willen, dem wirtschaftlich mitgenommenen Liechtenstein zu helfen, standen aber auch eigene Interessen, wie beispielsweise die Verhinderung einer Spielbank in Liechtenstein.
Die gesetzliche Grundlage zur Einführung des Schweizer Frankens in Liechtensteins wurde ebenfalls 1924 geschaffen. Im alltäglichen Leben verwendet wurde die Schweizer Währung allerdings schon vorher. Schon seit 1917 hatte sie sich zu einer Parallelwährung neben der bestehenden österreichischen Krone entwickelt. Nicht nur Privatpersonen, sondern auch der Staat hatten schon vor 1924 auf den Schweizer Franken umgestellt, wie beispielsweise sämtliche öffentliche Abgaben an den Staat schon seit 1920 in Franken zu entrichten waren. Auch die Landesrechnung wurde ab 1922 nur noch in Schweizer Franken ausgewiesen. Ein Währungsvertrag mit der Schweiz, der die Verwendung des Schweizer Frankens in Liechtenstein auf eine staatsvertragliche Grundlage stellte, war bei Inkrafttreten des Zollvertrags allerdings kein Thema. Erst 1981 wurde ein solcher geschaffen, nachdem der liechtensteinische Bankenplatz durch den fehlenden Vertrag in den 1960er- und 1970er-Jahren in arge Bedrängnis geraten war.
Literatur
Biedermann/Leipold-Schneider, «Zollwesen», in: eHLFL.
R. Marxer, «Zollanschlussvertrag», in: eHLFL.
V. Marxer, «Ausländer», in: eHLFL.
Quaderer-Vogt, Bewegte Zeiten, 2014.
Zäch, «Geld», in: eHLFL.
Zäch, «Währungsvertrag», in: eHLFL.