Der Zollvertrag als Grundstein für eine vielfältige Zusammenarbeit
Die Schweiz und Liechtenstein sind in den vergangenen hundert Jahren zusammengewachsen. Die beiden Länder haben sich über die formellen Bestimmungen hinaus auf unterschiedlichste Weise einander angenähert. Der Zollvertrag von 1923 machte Liechtenstein nicht nur zum Bestandteil des schweizerischen Wirtschaftsraums. Er legte gleichzeitig auch den Grundstein für eine vielfältig gewordene regionale, überregionale und institutionalisierte Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern.

Eine Untersuchung im Jahr 2012 ergab, dass in rund zwei Dritteln aller formellen und informellen Kooperationen, die Liechtenstein mit anderen Staaten, Kantonen oder Bundesländern im 20. Jahrhundert eingegangen ist, die Schweiz involviert ist. Kooperationen, in denen mehrere Länder gleichzeitig involviert sind, kommen vor, aber in den meisten Fällen ist der Schweizer Staat oder eine schweizerische Institution dabei alleiniger Partner Liechtensteins. Begründet wird diese Dominanz der Schweiz in Sachen zwischenstaatlicher Kooperation mit dem Zollvertrag und der besonderen Beziehung, die Liechtenstein und die Schweiz in den vergangenen hundert Jahren zueinander aufgebaut haben.
Der Zollvertrag hat dazu geführt, dass sich Liechtenstein in den vergangenen Jahrzehnten wesentliche Bestandteile des schweizerischen Rechtssystems angeeignet hat. Liechtenstein hat nicht nur die mit dem eigentlichen Vertragswerk in Zusammenhang stehende schweizerische Gesetzgebung übernommen, sondern sich auch in Bereichen, in denen es völlig autonom hätte handeln können, an der Schweiz orientiert. So hat sich Liechtenstein beispielsweise bei den sozialen Institutionen sehr stark an das schweizerische System angelehnt.
Das engmaschige Beziehungsnetz der beiden Länder wird durch zahlreiche formelle wie auch informelle regionale Kooperationen aufrechterhalten. Diese Kooperationen liegen im Interesse des Kleinstaates Liechtenstein. Liechtenstein ist in wesentlichen Bereichen auf eine zwischenstaatliche und regionale Zusammenarbeit angewiesen, namentlich dort, wo die eigene Infrastruktur aufgrund der Kleinheit fehlt oder nicht in ausreichender Menge und Grösse vorhanden ist. Gerade im Gesundheitswesen orientiert sich Liechtenstein sehr stark an der Schweiz. Zum einen gelten über den Zollvertrag gesundheitspolitische Regelungen wie beispielsweise das schweizerische Epidemiengesetz auch für Liechtenstein. Zum anderen lehnt sich Liechtenstein weit über diese Notwendigkeiten in elementaren Bestandteilen an das Schweizer Gesundheitswesen an.

Aber auch im Bildungsbereich ist die Zusammenarbeit eng. Liechtenstein hat das schweizerische duale Ausbildungssystem übernommen. Liechtensteiner und Liechtensteinerinnen gehen für ihre berufliche Schulausbildung schon seit den 1930er-Jahren nach Buchs. Heute stammen beispielsweise rund dreissig Prozent der Schülerinnen und Schüler am Berufs- und Weiterbildungszentrum Buchs Sargans aus Liechtenstein. Gerade im Ausbildungsbereich zeigt sich die Hinwendung Liechtensteins zur Schweiz sehr deutlich. Während früher die Ausbildungsstandorte Feldkirch und Innsbruck in Österreich bei Liechtensteinern überaus beliebt waren, absolviert inzwischen die Mehrheit der liechtensteinischen Studierenden ihre Ausbildung in der Schweiz.
Literatur
Brakde/Hauser, 75 Jahre Zollvertrag, 1998.
Ritter, Regionale Spitalkooperation, 2015.
Salomon, Liechtenstein und die grenzüberschreitende Kooperation, 2012.
Sochin-D’Elia, Wirtschaftswohl gegen eigenstaatliche Souveränität, 2019.
Stöckling, Zusammenarbeit im Bildungsbereich, 2015.