An der Seite der Schweiz im Zweiten Weltkrieg
Liechtenstein und die Schweiz erlebten den Zweiten Weltkrieg (1939–1945) als eine Zeit der grossen Unsicherheit. Durch den Zollvertrag zu einem gemeinsamen Wirtschaftsraum zusammengeschlossen, erhofften sich beide Staaten aus diesem Vertragswerk Vorteile, um unbeschadet durch die Wirren der Kriegszeit zu gelangen. Die Interessen an der gegenseitigen Beziehung waren aber durchaus unterschiedlich ausgestaltet.
Liechtenstein stellte für die Schweiz wegen der seit 1938 gemeinsamen Grenze mit dem Deutschen Reich, aber auch wegen der vor dem Krieg offenen und im Krieg doch durchlässigen Grenze zwischen Liechtenstein und der Schweiz ein Sicherheitsrisiko dar. Die Schweiz befürchtete schon vor dem Krieg und dann während der ganzen Kriegszeit einen möglichen «Anschluss» Liechtensteins an Hitler-Deutschland. Aus diesem Grund achtete die Schweiz genauestens auf die politische Lage im kleinen Land und versicherte sich in regelmässigen Abständen der Loyalität des Vertragspartners. Der latenten Gefahr eines «Anschlusses» Liechtensteins an das Deutsche Reich versuchte die Schweiz auf der einen Seite mit wirtschaftlichem Entgegenkommen, auf der anderen Seite aber mittels Kontrollinstrumenten und deutlichen Warnsignalen entgegenzuwirken.

Liechtenstein hatte die Wirren des Ersten Weltkrieges an der Seite des Kriegsverlierers Österreich-Ungarn erlebt. An der Seite der Schweiz fühlte man sich nun sicherer, wollte diese Sicherheit auf keinen Fall preisgeben. Man war sich in Liechtenstein bewusst, dass man als Kleinststaat allein auf sich gestellt nur sehr schwer durch Kriegszeiten käme. Liechtenstein beschwor deshalb die guten Beziehungen zur Schweiz in regelmässigen Abständen und verfolgte die Absicht, die Beziehungen zur Schweiz mit weiteren Vorteilen für sich selbst auszugestalten.
Aber auch in Liechtenstein gab es Personen, die einen zukünftigen Wirtschaftsanschluss an das Deutsche Reich nicht ausschlossen. Grundsätzlich war man sich in Liechtenstein zudem einig, dass man Hitlerdeutschland nicht verärgern wollte, man betrieb daher gegenüber dem Deutschen Reich eine Politik, die darauf hinauslief, nicht aufzufallen. Die durch den Zollvertrag starke Verbindung zur Schweiz gereichte Liechtenstein diesbezüglich zum Vorteil: Das winzige Land wurde von Hitler als kleiner Annex der Schweiz behandelt, dem nicht die erste Priorität galt.
Die Lancierung der Herausgabe des Blattes «Der Umbruch», der Zeitung der nationalsozialistischen «Volksdeutschen Bewegung in Liechtenstein», führte im Herbst 1940 zu ernsthaften Schwierigkeiten mit der Schweiz. Die Schweiz forderte eine Loyalitätsbezeugung, Liechtenstein musste sich gegenüber der Schweiz erklären.
Im Herbst 1940 stand gleichzeitig die Revision des schweizerisch-liechtensteinischen Fremdenpolizeiabkommens von 1923 an. Liechtenstein erhoffte sich von einer Revision endlich den freien Zugang zum Schweizer Arbeitsmarkt sowie weitere Erleichterungen. In Bern wurde Alois Vogt, der in seiner Funktion als Regierungschef-Stellvertreter zum Gespräch dorthin reiste, nun aber auf die Sorgen der Schweiz wegen eines möglichen «Anschlusses» Liechtensteins an Hitlerdeutschland angesprochen. Die Schweiz forderte von Liechtenstein ein klares Bekenntnis zum weiteren Bestehen des Zollvertrags. Mit dem Ultimatum einer Loyalitätsbekundung, aber ohne Fortschritt bezüglich des Fremdenpolizeiabkommens kehrte der liechtensteinische Regierungschef-Stellvertreter aus Bern in seine Heimat zurück.
Liechtenstein erfüllte die Loyalitätsforderung der Schweiz umgehend. Im Rahmen einer Landtagssitzung am 2. November 1940 erfolgten Ansprachen von Fürst, Landtagspräsident, Regierungschef und den Fraktionssprechern der Bürgerpartei und der Vaterländischen Union. Sie alle verdeutlichten die Wichtigkeit der Eigenstaatlichkeit sowie die auch in Zukunft bestehende Hinwendung zur Schweiz. Die Ansprachen, nach aussen nicht als Antworten auf das Schweizer Ultimatum erkennbar, erfüllten ihren Zweck: Bern beruhigte sich und war zufriedengestellt. Im Januar 1941 gab der Schweizer Bundesrat seine Zustimmung zum für Liechtenstein so wichtigen Fremdenpolizeiabkommen.

Die Einbindung Liechtensteins in die schweizerische Kriegswirtschaft hatte grosse Vorteile. Die Schweiz behandelte Liechtenstein wie einen Kanton. Rationierung, Kontingentierung, aber auch der Mehranbau nach dem «Plan Wahlen», eine ab 1940 planmässig vorangetriebene Förderung des Lebensmittelanbaus, wurden von der Schweiz vorgegeben und von Liechtenstein dankbar angenommen. Das kleine Land war froh, sich in das schweizerische Kriegswirtschaftssystem einklinken zu können, und hätte dies aus eigener Kraft allein auf sich gestellt nicht bewerkstelligen können.
Wie unterschiedlich die Interessen der beiden Vertragspartner sein konnten, zeigte sich nochmals deutlich in der Zeit unmittelbar nach Kriegsende. In den letzten Kriegstagen war die «Erste Russische Nationalarmee der Deutschen Wehrmacht» unter Generalmajor Holmston nach Liechtenstein übergetreten, zusammen 492 Personen. Zum Kriegsende hin befanden sich auch in der Schweiz rund 9'000 internierte Russinnen und Russen. Liechtenstein wollte die in Liechtenstein internierten Russen schnell und einfach der Schweiz übergeben. Während der Kriegsjahre war die Schweiz unter anderem auch für die liechtensteinische Flüchtlingspolitik zuständig gewesen und hatte nach Liechtenstein gelangende Flüchtlinge übernommen. Allerdings sah die Schweiz nun keinen Anlass dazu, auf das diesbezügliche Begehren Liechtensteins einzugehen. Die Schweiz nämlich war gerade dabei, ihre Beziehungen zur Sowjetunion zu normalisieren, nachdem man diese nach dem Ersten Weltkrieg abgebrochen hatte. Die Übernahme einer Rest-Armee, die mit der Deutschen Wehrmacht gekämpft hatte und aus sowjetischer Sicht aus Verrätern bestand, war deshalb für die Schweiz nicht opportun. In Liechtenstein behalf man sich damit, sich selbst um die internierten Russen zu kümmern, orientierte sich dabei allerdings stark an der schweizerischen Repatriierungspolitik.
Literatur
Geiger, «Russische Nationalarmee», in: eHLFL.
Geiger, Kriegszeit, Bd. 1 und Bd. 2, 2010.
Geiger, Rationierung und Mehranbau in Liechtenstein, 2010.
Geiger/Schlapp, Russen in Liechtenstein, 1996.
Tanner, Anbauschlacht, in: eHLS.