Das Ende des Zollvertrags zwischen Österreich und Liechtenstein
Vom Ersten Weltkrieg (1914−1918) war Liechtenstein nicht direkt betroffen. Durch die über den Zollvertrag von 1852 mit Österreich bestehenden engen Verbindungen zur k.u.k Monarchie trafen die Auswirkungen des Krieges aber auch Liechtenstein.
Nach dem Ausbruch des Krieges brach der Warenaustausch fast schlagartig zusammen. Für Liechtenstein, das nicht in der Lage war, sich selbst ausreichend zu versorgen, hatte dies weitreichende Auswirkungen. Es mangelte an allem: an Lebensmitteln, an Gütern des täglichen Bedarfs wie beispielsweise Holzkohle, an Rohstoffen für Industrie und Gewerbe. Ebenso wirkten sich die vorherrschende Arbeitslosigkeit sowie die zunehmende Entwertung der auch in Liechtenstein gültigen österreichischen Krone verheerend aus. Hinzu kam die zunehmende Zahlungsunfähigkeit Österreichs, das mit der Auszahlung seiner aus dem Zollvertrag vereinbarten Zolleinnahmen an Liechtenstein ins Hintertreffen geriet – bis diese dann ganz ausblieben.
Es erstaunt deshalb nicht, dass die Bindung an Österreich von der Mehrheit der liechtensteinischen Bevölkerung zunehmend als grosse Belastung empfunden wurde. Die bestehende Zollunion mit Österreich hatte infolge des Ersten Weltkrieges in Liechtenstein zum Notstand geführt.
Doch was war der beste Ausweg aus dieser Notsituation? Der Verbleib bei Österreich auf einer grundlegend neuen Basis verknüpft mit der Hoffnung auf baldige Besserung oder eine Loslösung von Österreich und die Hinwendung zur Schweiz?
Der Landtagsabgeordnete Wilhelm Beck plädierte am 14. Juni 1919 im Landtag für eine sofortige Kündigung des Zollvertrags mit Österreich. Wilhelm Beck, Jurist und Gründer der ersten Partei Liechtensteins, der Christlich-sozialen Volkspartei, war die treibende Kraft hinter der Neuorientierung in Richtung Schweiz. Er war der Ansicht, dass jeder weitere Verbleib in einer Zollunion mit Österreich für Liechtenstein wirtschaftlich gesehen schädlich sei. Die Regierung und der Landtag waren sich im Grundsatz einig: Liechtenstein musste sich von Österreich lösen und der Schweiz zuwenden.
Die liechtensteinische Regierung sprach sich am 24. Juli 1919 für eine geordnete Loslösung von Österreich aus. Am 2. August 1919 beschloss der Landtag die Kündigung des österreichisch-liechtensteinischen Zollvertrags und begründete dies mit dem «Lebensinteresse» Liechtensteins. Gleichzeitig gab der Landtag den Auftrag, sowohl mit Österreich wie auch mit der Schweiz Verhandlungen zum gegenseitigen Verkehr- und Warenaustausch aufzunehmen, die so lange Gültigkeit haben sollten, bis ein definitiver Zollanschluss an irgendeinen Staat abgeschlossen sei.
Die Kündigung des Vertrags mit Österreich erfolgte in mancher Hinsicht überstürzt: Ein zollvertraglicher Anschluss an die Schweiz war zu jenem Zeitpunkt noch mehr Wunschdenken als Wirklichkeit. Mit der Schweiz waren noch nicht einmal Verhandlungen aufgenommen worden. Die alltäglichen Belastungen, die die wirtschaftliche Anbindung an den Kriegsverlierer Österreich mit sich brachten, waren hoch. Die Hoffnungen auf eine an die Schweiz angelehnte bessere wirtschaftliche Zukunft auch. Allerdings fürchteten viele, ohne eine schon bestehende Zusicherung der Schweiz zum Abschluss eines Zollvertrags nun wirtschaftlich in die komplette Isolation zu geraten.
Der Protest gegen die Kündigung des Vertrags mit Österreich folgte bald und versinnbildlicht die beiden Lager, die sich in Liechtenstein in dieser Frage gebildet hatten. Am 8. September 1919 demonstrierten in Eschen rund 300 Männer für ein Wiederinkrafttreten des alten Zustandes. Die geografische Nähe zu Österreich spielte im Sinne von Pro und Kontra eine grosse Rolle: Die Unterländer wollten eher einen Verbleib bei Österreich, die Oberländer eher die Hinwendung zur Schweiz.
Unmittelbar nach der Kündigung des Zollvertrags betonte Liechtenstein wiederholt, dass die Vertragsauflösung nicht als unfreundlicher Akt gegenüber Österreich zu verstehen sei und einzig der Lösung der bestehenden Wirtschaftsprobleme geschuldet sei. Liechtenstein bemühte sich nach der Kündigung umgehend um vertragliche Vereinbarungen im kleinen Grenzverkehr und unterzeichnete mit Österreich im April 1920 ein Handelsabkommen, das bis zur Inkraftsetzung des schweizerisch-liechtensteinischen Zollvertrags gültig war.
Ein erster Schritt in Richtung Schweiz erfolgte mit dem Abschluss des Postvertrags, der am 1. Februar 1921 in Kraft trat und 1999 einvernehmlich wieder aufgelöst wurde. Liechtenstein und die Schweiz bildeten fortan ein gemeinsames Postgebiet, wobei Liechtenstein weiterhin eigene Briefmarken herausgeben konnte. Die liechtensteinische Regierung hatte sich von einem baldigen Abschluss eines Postvertrags mit der Schweiz konkrete Vorteile erhofft, nämlich die rasche Einführung des Schweizer Frankens. Auch wenn der Schweizer Franken erst 1924 offiziell eingeführt wurde, war er in Liechtenstein schon während des Krieges zunehmend genutzt worden.
Literatur
Quaderer-Vogt, Bewegte Zeiten in Liechtenstein, Bd. 1 und 3, 2014.
Redaktion, «Post», in: eHLFL, abgerufen am 10.9.2021.
Sochin-D’Elia, Ein Kleinstaat auf dem Weg aus der wirtschaftlichen Misere, 2019.
Zäch, «Geld», in: eHLFL, abgerufen am 10.9.2021.