Beziehungskrise Ellhorn
In den Jahren 1938 und 1939 durchlebten Liechtenstein und die Schweiz eine regelrechte Beziehungskrise. Im Zusammenhang mit dem Wunsch der Schweiz, das Ellhorn in seine militärische Verteidigung miteinzubeziehen, drohte die Schweiz unverhohlen mit der Kündigung des Zollvertrags, falls Liechtenstein nicht kooperiere.

Um die Schweizer Ostgrenze angesichts der deutschen Aufrüstung zu sichern, wollte die Schweiz die Festung Sargans ausbauen. In die Planung der Festung Sargans wurde auch das Ellhorn miteinbezogen, das allerdings zu Liechtenstein und nicht zur Schweiz gehörte.
Der Schweizer Bundesrat beschloss im November 1938, mit Liechtenstein Verhandlungen zur Abtretung des Ellhorns an die Schweiz aufzunehmen. Nach ersten Vorgesprächen war man in der Schweiz mehr als zuversichtlich, dass Liechtenstein dem Handel zustimme. Der Bundesrat beschloss aufgrund dessen einen schon länger diskutierten Kredit von zwei Millionen an Liechtenstein.
Was in der Schweiz als beschlossene Sache galt, war in Liechtenstein hingegen nicht so klar. Liechtenstein stellte zusätzlich zu einer in Aussicht gestellten finanziellen Kompensation auch Forderungen inhaltlicher Art, nämlich, unter anderem die Freizügigkeit liechtensteinischer Arbeitskräfte sowie die Gleichstellung Liechtensteins mit einem Schweizer Kanton auf allen Gebieten des wirtschaftlichen Lebens. Vor allem fürchtete man in Liechtenstein Schwierigkeiten mit Deutschland, falls es zu einem Handel komme. Deutsche Stellen hatten von der geplanten Ellhorn-Abtretung erfahren, nun forderten sie von Liechtenstein Kompensation auf dem Schellenberg.
Die Verhandlungen Liechtensteins mit der Schweiz waren in erster Linie über Regierungschef Josef Hoop gelaufen. Dieser hatte weder seine restlichen Regierungsmitglieder noch das Fürstenhaus wirklich informiert. Es kam anders als von Bundesrat und Regierungschef Hoop gedacht: Die Gemeinde Balzers wollte das zu ihrem Gemeindegebiet gehörende Ellhorn nicht abtreten, die restlichen Regierungsmitglieder verweigerten sich ebenfalls dem Handel mit der Schweiz.
In der Schweiz wusste man von der abwehrenden Haltung Liechtensteins noch nichts. Dort war gerade der Entwurf für ein neues Fremdenpolizeiabkommen, das die Liechtensteiner Bedingungen erfüllen sollte, fertiggestellt worden. Im Januar 1939 kam es in Bern zum Eklat: Liechtenstein erklärte, dass eine Abtretung des Ellhorns nun doch nicht infrage käme, die Schweiz fasste dies als Affront auf. Nachdem die Schweiz jegliche Hoffnung auf ein Einlenken Liechtensteins aufgegeben hatte, drohte sie in letzter Konsequenz mit der möglichen Auflösung des Zollvertrags. Die Verhandlungen zum Fremdenpolizeiabkommen wurden per sofort sistiert. Liechtenstein andererseits fühlte sich in seiner Situation nicht verstanden.
Die Schweiz fasste die Haltung Liechtensteins als Verweigerung auf und stellte die Loyalitätsfrage. In einer im Januar 1939 an Liechtenstein versandten Note liess die Schweiz den kleineren Vertragspartner ihren Unwillen spüren: Neben anderen Massnahmen sperrte die Schweiz den Zwei-Millionen-Kredit an Liechtenstein.
Die Schweiz blieb verstimmt. Im eigenen Interesse wurde der Zollvertrag aber doch nicht aufgelöst. Erst im Sommer 1939 normalisierte sich das schweizerisch-liechtensteinische Verhältnis angesichts drängenderer Fragen wieder. Gleich nach Kriegsbeginn gab die Schweiz den Kredit an Liechtenstein frei.

Nach dem Zweiten Weltkrieg forderte die Schweiz das Ellhorn in den Jahren 1947/1948 erneut, dies nun im Zuge des beginnenden Kalten Krieges. Eine versteckte Drohung zur Kündigung des Zollvertrags sowie die konkrete Rücknahme von an Liechtenstein versprochenen Bedingungen fremdenpolizeilicher, finanzieller und wirtschaftlicher Art standen wieder im Raum. Die Gemeinde Balzers hatte ihre Meinung nicht geändert: Ein Ellhorn-Handel kam für sie nicht infrage. Anderer Ansicht waren nun aber der liechtensteinische Landtag sowie die Regierung. Der neue Grenzvertrag mit der Schweiz wurde am 23. Dezember 1948 trotz Protest aus Balzers unterzeichnet. Das Ellhorn wurde 1949 schweizerisch und Teil der Festung Sargans. Als Gegenleistung erhielt Liechtenstein beziehungsweise die Gemeinde Balzers von der Schweiz eine gleich grosse und besser nutzbare Fläche zuvor schweizerischen Bodens. Liechtenstein wurde zudem mit einer Verringerung der beträchtlichen Lebensmittelschuld aus dem Zweiten Weltkrieg abgegolten. Ebenso kam die Schweiz dem liechtensteinischen Wunsch nach einer Verstärkung der Grenzwache nach.
Literatur
Büchel, «Ellhorn», in: eHLFL.
Brunhart, Der Verlust des Ellhorns, 1998.
Geiger, Krisenzeit, Bd. 2, 1997.